Freitag, 15. August 2014

Tyne


„Wenn du etwas bleibendes in der Welt hinterlassen willst, dann mußt du Kinder zeugen.“ So wird es immer gesagt, vor allem natürlich von Eltern, und die Ausschließlichkeit und Endgültigkeit dieser Aussage macht mich, ob meiner Kinderlosigkeit, manchmal sehr traurig. Sollte das wirklich alles gewesen sein? Ist alles andere bedeutungslos? Ist man selbst bedeutungslos? 
In solchen Momenten passiert es, daß meine Gedanken zurück in die Vergangenheit gehen, in meine Kindheit und Jugend. Mein Onkel Thomas, geboren in Glasgow, Schottland, fand nach dem Krieg eine Anstellung bei Rolls-Royce. Der Laie denkt natürlich sofort an die Luxusautos, Rolls-Royce war und ist aber auch einer der bedeutendsten Hersteller von Flugzeugtriebwerken. Und genau dort hatte Thomas seinen Job fürs Leben gefunden. Er qualifizierte sich als Techniker und war dort ab 1955 hautnah an der Entwicklung des Rolls-Royce Tyne-Triebwerkes beteiligt, dem damals stärksten Turboprop-Triebwerk der westlichen Welt. Es war ein großer Erfolg und wurde bis in die 90er Jahre produziert. Es versah und versieht über Jahrzehnte zuverlässig seinen Dienst in vielen Flugzeugen, in Schiffen, und unter anderem auch in der Transall, dem europäischen Kurzstrecken-Transportflugzeug der Bundesluftwaffe seit 1965.

Ich erinnere mich gut daran, wie Thommy mir damals mit Faszination in der Stimme und leuchtenden Augen von diesen Dingen erzählte. Er war stolz, dabei gewesen zu sein und meine spätere Begeisterung für Technik, Motoren und Fliegerei wurde vielleicht dadurch erst geweckt. Die Verbindung zwischen diesem Mann, der so viel erlebt hatte und der Maschine, die er mit geschaffen hatte, war zu spüren, sie war ansteckend.

Die Transall-Flugzeuge sind mittlerweile in die Jahre gekommen, ihre wirtschaftliche Lebensdauer ist längst überschritten, aber der Nachfolger, der Airbus A400M, kommt nur schleppend auf den Weg, und so versehen diese Oldtimer noch heute ihre Dienste. Gottlob haben diese Militärflugzeuge nie einen „großen“ Krieg gesehen, wohl aber sind sie weltweit bekannt durch die deutschen Beteiligungen an Hilfsmissionen. Sogar die meisten Laien erkennen eine Transall, wenn sie auf Bildern aus fremden Ländern erscheint, fernab der Heimat und weit jenseits des Aktionsradius, für den sie eigentlich mal geplant war.

Mein Onkel Thomas lebt schon lange nicht mehr, sein Werk hingegen schon: Gerade heute sah ich einen Nachrichtenbeitrag, Deutschland beteiligt sich an der Hilfsaktion für die von den Radikalislamisten vertriebenen Menschen im fernen Nordirak. Als sich im Bildhintergrund eine Transall vorbeischob und auf den langen Weg machte, getrieben von ihren treuen und unermüdlichen Tynes, mußte ich unweigerlich lächeln. Ja, mit der uns Menschen gegebenen Begeisterungsfähigkeit ist es sehr wohl möglich, auf noch andere Weisen seine Spuren in der Welt zu hinterlassen. Ein Ansporn für mich, nie aufzugeben, zu verzweifeln, sondern mich statt dessen den Dingen zu widmen, für die ich mich begeistere.


Nachtrag: Wenn die Transall, diese fliegenden Oldtimer, eines Tages (man spricht mittlerweile von 2020) ersetzt werden, setzt sich auch diese sehr persönliche Geschichte fort: Das EPI TP400, welches den Nachfolger Airbus A400M antreibt, ist technisch gesehen ein Nachfolger des guten alten Tyne. Ich spreche da gern von einem „Enkel“.