Erich ist tot. Über Umwege erfuhr ich davon. Wieder ein
langjähriger Kollege und Mitstreiter, einer, dem ich das eine oder
andere in meiner Karriere verdanke. Ernüchtert lese ich die
Traueranzeige und stelle fest, daß er gerade mal 66 geworden ist.
Spontan fällt mir Udo Jürgens´ Schlager „Mit 66 Jahren, da fängt
das Leben an“ ein. Ausnahmen bestätigen leider die Regel. Dann
schließe ich die Augen und lasse Szenen mit Erich vor meinem inneren
Auge ablaufen. Besonders eine Begebenheit ist mir überdeutlich
präsent geblieben: Vor einigen Jahren, nach einem Kundenbesuch,
saßen wir in der Hotelbar. Natürlich floß der Alkohol und wir
waren ausgelassen und in Philosophierlaune. Da sagte er zu mir:
„Weißt du.... wenn ich mal im Ruhestand bin, weiß ich genau, was
ich tu: In meinem Arbeitszimmer stapelt sich der Mist aus diesem Job.
Mein Vater war Holzschnitzer von Beruf, der hat mir seine ganze
Werkstatt mit all den vielen Werkzeugen vererbt, weißt schon, die
gute alte Handarbeit. Am Stichtag schmeiß ich den Berufskram da raus
und richte mir auch eine Werkstatt ein, das mach ich dann als
Altershobby!“ Es klang wirklich schön, so herrlich altmodisch und
romantisch. Jetzt ist er tot, nur vier Jahre nach seinem Ruhestand
und ich bezweifle, daß er bei der langen Krankheit, von der mir
berichtet wurde, noch dazu gekommen ist, diese Werkstatt
einzurichten. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß die ungeliebten
Kundenmuster sich am Todestag noch immer in Erichs Arbeitszimmer
stapelten.
„Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter!“.
Dieser Spruch, eine Ableitung des „Carpe Diem“ von Horaz, wird
nur allzu oft als Rechtfertigung für das hedonistische substanzlose Sich-treiben-lassen in zahllosen Parties mißbraucht. Ich
denke, damit ist etwas ganz anderes gemeint. Wir brauchen ein Leben
mit Strukturen, Plänen, Träumen und Verantwortung, aber wir haben
nur dieses eine. Wir sollten jeden Tag so angehen, daß wir ihn als
erfüllt betrachten können und Dinge nicht auf einen späteren
Lebensabschnitt vertagen, es könnte zu spät sein. Ich fürchte mich
nicht vor dem Tod. Aber ich fürchte mich vor dem Tag, an dem ich
feststelle, daß ich meine Lebenszeit mit Nichtigkeiten verschwendet
und das Wichtige auf eine Zeit vertagt habe, die ich nicht mehr
erleben werde. Ich kannte Erich privat nicht gut genug, um abschätzen
zu können, ob er kurz vor dem Ende diesen Gedanken hatte. Ich
wünsche es ihm nicht.
Machs gut, Erich.
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