Donnerstag, 14. März 2013

Axolotl

Manch einer dürfte das kennen: Kollegen, die mächtig nerven. Nicht einmal, weil sie feindlich gesonnen sind, nein, in diesem Fall geht es um die Sorte Kollegin, die freundlich, nett, fleißig ist und ansonsten die Weltsicht einer Weinbergschnecke und den Intellekt zehn Metern ungeteerten Feldweges hat. Kurzum: Jemand, der mir schon auf die Nerven geht, sobald sie nur Luft holt. Und auf dessen Kommentare ich -ich gebe es zu- reflexhaft doppelt so verschnupft reagiere, als wenn ein anderer Kollege sie geäußert hätte. Das Maß ist eben einfach voll. 

Nun hat besagte Dame ein Faible für Frösche. Wo sie geht und steht, müssen Bilder von Fröschen aufgehängt werden, vorzugsweise cartoonhafte Darstellungen, denn wie wohl auch sie weiß, ist der Frosch an sich weder besonders niedlich noch in seiner Anmut mit dem Regenbogen zu vergleichen. Nun geschah folgendes: In unserer kleinen Cafeteria hängen natürlich auch Frösche aller Art, daneben der eine oder andere mehr oder weniger lustige Schnipsel aus der BILD oder der ADAC-Motorwelt. Wie eine Cafeteria in einer Firma halt aussieht. 

Kultursnob, der ich bin, habe mir als seelisches Gegengewicht eine eigene Pinnwand eingerichtet; dort hänge ich gelungene  Kolumnen aus der ZEIT auf, dazu klassische Gedichte ( ich liebe Rilke und Mörike ) und gelegentlich eine treffliche Weisheit oder einen Dilbert-Cartoon. Neulich trank ich einen Kaffee und erschrak: Quer über "meiner" Pinnwand hing ein neuer ausgedruckter Frosch! Bildersturm und Ketzerei! Rilke entweiht! Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich der Frosch als eine Art Molch mit seltsamem Kiemenwuchs und einem ungewöhnlich menschlichen, beinahe püppchenhaften Gesicht. Und natürlich ohne jeden erklärenden Kommentar. "Aha!", dämmerte es mir! Eines der Millionen Photoshop-manipulierter Bilder. Katzen mit viereckigen Augen, Pferde mit zwei Beinen, Pretzel the Dachshund, alles klar. 

Vor meinem geistigen Auge formte sich meine Kollegin, ein "Och, ist der süüüüß!", glucksend und nicht ahnend, daß sie a) nicht kapierte, daß das eine Photomanipulation ist, ein Fantasiewesen, b) sie damit die Grenze zum guten Geschmack ( im wahrsten Sinne ) überschritten hatte und Rilke mit ihrem dämlichen Molch entweiht hat. Wahrscheinlich wußte sie nicht einmal, wer Rilke ist! Sofort schwoll mir der Hals an. Hinfort mit dem dummen Ding. Ich nahm das Blatt, klebte einen Tesafilm an und -Patsch!- klatschte ich es an den unteren Rand der drohend wuchernden Froschsammlung. Zufrieden erzählte ich meinen begabteren Kollegen von der unerhörten Entweihung der Kulturecke und der erfolgreichen Entfernung und Verbannung in das Reich  der Weinbergschnecken. 

Einige Tage später kam eine andere Kollegin auf mich zu. Eine eher dezente, seriöse Dame, mit der ich mich gelegentlich unterhalte. "Haben sie den Axolotl gesehen, den ich aufgehängt hatte? Ich dachte mir, das Tierchen würden sie vielleicht interessant finden. Es ist in der freien Wildbahn eher selten und kommt meist in Abwassersystemen in Mexico vor. Ist aber beliebt bei Züchtern, weil er leicht zu halten ist und so ungewöhnlich aussieht!" Ich lief knallrot an und mußte mich danach erstmal eine Weile in die Cafeteria setzen und den Axolotl begaffen. Eine Bildungslücke hatte mich aufs Glatteis geführt und in meiner bornierten Pauschalisierung hatte ich eine ganz und gar Unschuldige einer weiteren Dummheit verdächtigt. Auch wenn sie es durchaus hätte gewesen sein können, ich schämte mich und nahm mir vor, den Menschen mal wieder etwas unvoreingenommener entgegen zu treten, ein guter Anlaß dafür.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen